Variationüber die "Glocke" eines gewissen Friedrich Schiller. Wer das Original nicht auswendig kennt, sollte:

    sich schämen und
    auf schnellstem Weg Schillers vergammelte Werke besorgen.

 
Fest verhaftet auf dem Herde
Liegt die Form, aus Blech gemacht.
Auf daß heut' die Pizza werde!
Gäste kommen spät zur Nacht.

Auf des Randes Steig
Glänzen muß der Teig,
Soll das Werk die Köchin loben;
Doch die Mischung kommt von oben.

Zum Werke, das wir heiß bereiten,
Geziemt sich wohl ein weiches Ei;
Wenn Salz und Pfeffer es begleiten,
Dann wird es gar ein feiner Brei.
So laßt uns jetzt mit Fleiße kneten,
Was uns die schwache Kraft erlaubt;
Erst wird dem Zopfe, dem gedrehten,
Per Nudelholz die Form geraubt.
Das ist's ja, was die Köchin zieret,
Zu tun, wie es im Kochbuch stand,
Daß man hernach auch schnabulieret,
Was sie erschuf mit kund'ger Hand.

2

Nehmet Mehl vom Weizenstamme.
Stäubt das Backwerk trefflich ein,
Daß des Herdes heiße Flamme
Brennt kein schwarzes Loch hinein.

Noch ein gelbes Ei!
Schnell, die Milch herbei!
Daß die zähe Knetteigspeise
Fließe in der rechten Weise!

Was in des Ofens Mittelschiene
Alsbald mit Feuers Hilfe bäckt,
Es wird geprüft mit Kennermiene,
Alsdann behutsam abgeschmeckt.
Vollendet wird's zu später Stunde,
Füllt ach so mancher Lieben Bauch,
Und nach des Mahles trauter Runde
Kommt die Verdauung sicher auch.
Was droben auf der Zungenspitze
Zu sinnlichem Genuß gereicht,
Formt unten an intimer Ritze
Den hohlen Ton, der flugs entweicht.

3

Das, was des Magens tiefe Grube
Doch eigentlich schon längst verdaut,
Füllt dann als Duft die gute Stube
Und wird zudem vor Zeugen laut.
Ein solches Sakrileg zu wagen,
Erzürnt so mancher Menschen Ohr;
Hilft auch kein Lüften und kein Klagen,
So hebt sich der Entrüstung Chor.

Weiße Blasen seh' ich springen;
Wohl! Der Teig ist gut im Fluß.
Laßt mit Hefe ihn durchdringen,
Daß er trefflich quellen muß.

Edel, frisch und rein
Muß die Hefe sein,
Daß der hohle Leib, der pralle,
Endlich nicht zusammenfalle.

4

Denn auch des Randes braune Feste
Erfreut stets das Genießerherz.
Wen sorgen schon die Speisereste
Im Zahn - erst später kommt der Schmerz.
Dann, wenn der Zahnschmelz langsam splittert,
Das Zahnfleisch sich in Falten knittert,
Die Fäulnis an der Wurzel naget,
Und auch der Schlaf den Trost versaget,
Dann kommt die Reu', es bangt das Herz.
Vom Tische los reißt es den Armen.
Das Haupthaar sträubt sich voller Graus.
So hilft ihm doch kein Weh und Barmen,
Der Backenzahn, er muß heraus.
Und teuflisch, wie ihr Unterfangen,
Gleich einem Bild aus Höllenstahl,
Sieht er den Zahnarzt und die Zangen;
Was folgt, gedeiht erst recht zur Qual.

Es reißt und bohret in den Zähnen;
Er bäumt sich auf, versucht zu fliehn.
Aus seinen Augen brechen Tränen
Und aus der Blase der Urin.

Doch naht das Ende, nicht viel später,
Noch krallt die Hand am Stuhle fest,
Zeigt man ihm stolz den Übeltäter;
Ein fester Ruck vollbracht den Rest.
Bald kaut ein Stift aus edlen Stoffen;
Der dritten Zähne gold'ne Zeit!
Dem Gaumen steht der Himmel offen,
Es schwelgt der Bauch in Seligkeit.
Ach, daß stets so verlockend bliebe,
Der frische Duft der Kräutertriebe!

5

Wie sich schon die Ränder bräunen!
Mit der Gabel stech' ich ein,
Wird der Käse glasig scheinen,
Mag's zu Tische zeitig sein.

Jetzt, oh Köchin, frisch!
Prüf' mir dein Gemisch,
Ob der Boden mit dem Weichen
Sich vereint zum guten Zeichen.

Denn wo das Harte mit dem Zarten,
Wo Scharfes sich und Zähes paarten,
Entstehet ein gesunder Drang.
Drum prüfe, wer die Speise bindet,
ob sich kein Haar im Teige findet!
Das Mahl ist kurz, die Reu' ist lang.

Schau, die zarten Artischocken
Ziert verspielt ein Kapernkranz,
Manchen fetten Thunfischbrocken
Birgt des frischen Goudas Glanz!
Ach! der Köchin schönste Fabel
Endigt just die Schlemmerei,
Mit dem Messer, mit der Gabel
Reißt der schöne Wahn entzwei.

6

Die Käseschicht flieht,
Der Boden muß halten;
So fest wie Granit,
Bis Zähne ihn spalten.
Das Mahl muß hinein
In hungrige Mägen,
Muß munden und regen
Und füllen und pfropfen,
Umhüllen, verstopfen,
Muß stillen und nähren,
Des Hungers erwehren.
Da strömet herbei eine wohlige Sattheit,
Es legt sich der Magen in all seiner Mattheit,
Das Beinkleid wird lästig, der Gürtel schnürt ein.

Und drinnen waltet
Die tüchtige Leber,
Die Galle nicht minder,
Und spaltet weise
Zu fettige Speise,
Und reinigt die Venen
Und wehret den Schnäppsen,
Und wandelt die Ketten
Von Eiweiß zu Fetten,
Und mehrt den Gewinn
Im chemischen Sinn,
Und scheidet mit Umsicht organische Welten,
Und murret nur selten.

7

Und der Gourmand mit sattem Blick
Über des Bauches weitreichenden Hügel
Zählet sein Kalorienglück,
Fühlt der Hüfte gepolsterte Wellen,
Und des Gesäßes schwammige Stellen,
Überlegt, ob trotz drohender Häme
Er einen Nachschlag zu sich nähme.
Und trotzt mit vollem Mund:
Zum Fasten ist kein Grund,
Gegen der Schwerkraft Macht
Steht mir der Beine Pracht. -
Doch sind die Naturgewalten
Durch Speis und Trank nicht aufzuhalten,
Und der Infarkt, er schreitet schnell.

Wohl! Bald kann das Mahl beginnen;
Was noch fehlet ist der Wein.
Doch bevor wir's lassen rinnen,
Stimmet in ein Trinklied ein!
Zieht den Korken raus!
Auf zum Gaumenschmaus!
Perlt der Wein in edlem Glase,
Füllt sich rasch des Kenners Blase.

8

Gar fraglich ist des Tellers Fracht,
Wenn sie der Koch nicht selbst gemacht,
Was er bereitet, was er schafft,
Kocht er zumeist im eig'nen Saft,
Doch furchtbar ist der Wirkung Kraft,
Wenn eine Zutat mangelhaft,
Genommen ward aus der Konserve,
Die lange lag schon in Reserve.
Wehe, wenn sie losgelassen,
Gährt es bald im Nährbestand,
Auf den Tellern in den Tassen,
Finden Keime Unterstand,
Kriegt man sie nicht mehr zu fassen,
mehren sie sich unerkannt.

Eingehüllt in schlechter Speise
Lauert das Bakterium,
Daß es auf bequeme Weise
Bald zu einem Wirte kumm.

Auf den Pilzen, den Tomaten,
Aber auch in den Salaten,
Weiß es seine wohlbekannten,
Infektiösen Artverwandten.
Da erscheint vor dem Buffet,
Ahnungslos, was ihm dort droht,
Schon der hungrige Gourmet,
Freut sich auf sein Abendbrot.
Ob des Kitzels unbedächtig,
Wählt er, was ihm unterbreitet;
Jenes scheint ihm nur zu prächtig,
Obendrein frisch zubereitet.
Voll Genuß läßt er sich munden,
Was er für bekömmlich hält,
So gelangt fatalerweise,
Was der Gast nicht mitbestellt,
In den Magen mit der Speise,
Geht dann leise auf die Reise
Zu des Darmes warmer Falte,
Daß es nicht so schnell erkalte,
Zieht dort heimlich seine Runden.

9

Wenn dann die Kokken
So recht frohlocken,
Und auch die Viren
Sich etablieren,
Dann bohret's und drücket,
Die Darmwand verrücket,
Quälend und plagend,
Erlösung versagend,
Hämmernd und klopfend,
Den Ausgang verstopfend,
Die Richtung verkehrend,
Sich redlich vermehrend,
Will drücken und schaffen,
Zersetzen und gären,
Die Kräfte hinraffen,
Die Ruhe verwehren.

Brodelnd steigt des Giftes Fäule
Durch des Darmes lange Zeile
Wächst es fort mit Windeseile;
Modrig, wie aus Teufelsrachen,
Wehen Dämpfe, Winde krachen,
Greise toben, Flüche tönen,
Kinder jammern, Mütter stöhnen,
Männer wimmern
Auf den Zimmern;
Alles rennet, rettet, flüchtet,
Ein WC wird nicht gesichtet,
Quälend ist des Stuhles Drang.
Doch der schrecklichste der Schrecken,
Ist des kranken Menschen Zwang,
Bitt're Medizin zu schmecken,
Faden Griesbrei aufzuschlecken,
Und das Müsli macht ihn bang.

10

Wo rohe Säfte sinnlos walten,
Da kann sich kein Genuß entfalten;
Kräutertees aus Löwenzahn
Muten kaum verlockend an.
Doch soll der Magen auferstehn,
Hat just der Gaumen nachzusehn,
Auf solche Art wird man gesund.
Ein süßer Trost ist ihm geblieben:
Er zählt die Kilos, seine Lieben,
Und sieh! Ihm fehlt kein teures Pfund.

Jetzo daß sie nicht vergare,
Holt das Werk mir aus dem Herd,
Daß sich endlich offenbare,
Was wir alle lang begehrt.
Wie vom Duft belebt
Sich die Stimmung hebt!
Frisch kreiert mit Meisterwissen,
Herzhaft sei ihr erster Bissen!

 

 
 
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